Der Angriff der Bilder auf die übrige Wirklichkeit
von Dorothea Strauss
Es gab einmal eine Zeit – Ende der 90er Jahre – da dachte man,
der in Basel lebende Künstler Hanspeter Hofmann hätte seine künstlerische
Sprache gefunden. Das dachten natürlich nur die, die sich rasch zufrieden
geben damit, dass ein Künstler sein Label positioniert hat: eine organische
Abstraktion in gedämpften Farben und mittleren Formaten, eine kontinuierliche
Weiterentwicklung des Formenkanons. Doch eigentlich hätte man damals schon
ahnen können, dass es dabei nicht bleiben kann.
Im Zusammenhang mit der Malerei von Hanspeter Hofmann wird häufig erwähnt,
dass er – bevor er zu malen begann – in der Chemie-Forschung tätig
war. Hofmann liebt Experimente. Als ehemaliger Naturwissenschaftler bewertet
er die Ergebnisse seiner Forschungen nicht nur unter der Kategorie gut oder
schlecht, sondern er weiß ganz genau, dass jedes Ergebnis von Nutzen sein
kann. Was ihn interessiert, ist Erkenntnisgewinn. Und genauso, wie er sich früher
für seine naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen entschied, wählt
er eines Tages den Weg der Kunst.
Hofmann ist Realist. Mit der Entscheidung erst einmal zu malen, stellen sich
die Fragen nach dem wie und was, und um diese zu beantworten, geht er nicht
den Weg über eine Erprobung malerischer Praxis, sondern stellt zu aller
erst ins Zentrum seiner neuen Berufung konzeptionelle Überlegungen. Als
Resultat dieses denkerischen Prozesses entscheidet sich Hofmann schlussendlich
für die Möglichkeiten und Offenheit einer abstrakten malerischen Sprache.
Doch keine auf einer klassischen Geometrie basierende Abstraktion interessiert
ihn dabei, sondern der Wirklichkeitsbezug eines auf Kurven und organischen Formen
basierenden Ausdrucks. Anleihen an zum Beispiel Wetterkurven, Statistiken oder
Hochrechnungen sind zwar nur marginal, bieten jedoch trotzdem Berührungsmöglichkeiten
gegenüber einer alltäglichen Erfahrungswelt.
Hofmann ist Erfinder. Der Start seiner künstlerischen Karriere ist von
Forschergeist und gleichzeitig von einem entwaffnendem Pragmatismus geprägt,
und die Bilder, die danach kommen, erzählen von einer befreienden Suche
nach Ausdehnung. Der Kontrast zwischen der konzeptionellen Klarheit inhaltlich
strategischer Überlegungen und die verführerische Kraft der starken
Ereignishaftigkeit seiner Bildwelten bestimmt bis heute die ambivalente Stimmung
seiner Malerei.
Zwischen 1993 und 1997 entsteht ein breites Konvolut von Gemälden und
Holzschnitten, die Hofmann unter den Titel »In vitro« stellt. Helle,
schnurähnliche Linien verlaufen in organischen Strukturen auf dunklem Hintergrund.
Bereits der Titel suggeriert den Prozess eines Versuchs: In diesen Arbeiten
nähert sich Hofmann in einer geradezu meditativen Arbeitsweise seiner künstlerischen
Sprache.Er bedient sich dabei einer zeitaufwendigen Technik und benötigt
für jede Arbeit bis zu drei Monaten. Diese Serie dient ihm als eine Art
fomal-ästhetisches Archiv, als Formenkanon, auf dessen Basis Hofmann bis
Heute seine Malerei stellt, doch nicht in unmittelbarer, sondern bezugnehmender
Weise.
Schon diese früheren Arbeiten changieren in ihrer naturwissenschaftlich-mikroskopischen
Anmutung zwischen dynamischen Strukturen und einer stimmungsvollen Chillout-Atmosphäre.
Doch erst im Verlauf der Jahre wird dieser Zusammenhang deutlicher, die Farben
stärker, die Formen großzügiger und die Formate ausschweifender.
Hofmann treibt seine Farbgestaltung immer provokativer manchmal bis an die Grenzen
der retinalen Belastbarkeit einer poppigen Farbskala. Immer offensiver konfrontiert
er pralle Farbkonstellationen mit einer ausschweifenden Formensprache. In seinen
Arbeiten treffen sich die kühle Distanz einer präzisen Organisation
zwischen Form und Fläche und der emotionale Überschwang eines großzügigen
Umgangs mit Raum und Farbe.
Hanspeter Hofmann interessiert sich für systemische Zusammenhänge.
Einzelne Motive oder ganze Formenkomplexe greift er sowohl formal wie auch farblich
aus verschiedenen Bildern wieder auf, integriert sie in andere, verändert
sie dabei, variiert sie und schafft auf diese Weise innerhalb seiner Bildgruppen
sowohl formal- wie auch farbästhetische Verbindungen. Häufig arbeitet
er an mehreren Arbeiten gleichzeitig und entwickelt auf diese Weise komplexe
Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bildern. Diese Arbeitsweise zielt
jedoch nicht im klassischen Sinne auf die Entwicklung von abgeschlossenen Werkgruppen.
Der Prozess des Zitierens zieht sich durch seine ganze Arbeit hindurch und scheint
nie abgeschlossen: Frühere Konstellationen tauchen wie Relikte, wie Reste
immer wieder auf und werden mit neuen Ergebnissen konfrontiert.
In einigen Arbeiten tauchen nun hin und wieder aus Kunststofffolie applizierte
Worte auf wie Stoked, Sex, Hard Core oder auch Petronas. Mit solchen Begriffen
möchte Hofmann nicht – wie zum Beispiel Remy Zaugg – auf Wahrnehmungsprozesse
aufmerksam machen, sondern ihn interessieren viel mehr die jeweiligen narrativen
Qualitäten dieser Worte hinsichtlich ihres Gebrauchs. »Stoked«
ist zum Beispiel ein Begriff, den nur die wenigsten kennen. Er stammt aus der
Surfer-Welt und meint das Lebensgefühl, das man hat, wenn man eins ist
mit der Welle. Hofmann zitiert mit diesem Wort eine ganz spezifische Alltagswelt
des Sports, in der Träume von Freiheit und Abenteuer maßgeblicher
Motor für das sportive Ergebnis sind. Wiederum ein Wort wie »Sex«
scheint jeder zu kennen. Oder »Hard Core« wird sowohl in der Pornoindustrie
verwendet wie auch umgangsprachlich als beschreibender Ausdruck für etwas
emotional Heftiges und Starkes.
Indem Hofmann Worte in geradezu provozierend plakativer Weise wie Label auf
seine Bilder platziert, das malerische Umfeld jedoch nicht weniger präzise
entwickelt, beschwört er unterschiedliche Diskurse innerhalb seiner Arbeiten
herauf. Er »deponiert« einzelne Elemente wie Störenfriede in
ein malerisches Umfeld und entwickelt doch gleichzeitig dadurch verbindliche
Beziehungen. Diese Beziehungen sind nicht nur im Bild selbst zu finden, sondern
koppeln sich an die eigene Erfahrungswelt des Betrachters und der Betrachterin
an.
Hofmann appliziert jedoch auch andere Elemente wie zum Beispiel einen Adler,
stilisierte taubenähnliche Vögel oder einen schrillen Papagei. Die
schwarzen Vögel erinnern zum Beispiel an Klebebilder, wie sie für
Fenster in Schulen oder öffentlichen Gebäuden verwendet werden; auf
den Bildern erscheinen sie mitunter wie ein ironisches Zitat eines Umstands,
nicht in das Bild zu fliegen oder schaffen eine melancholische Geste der Freiheit.
In seine neusten Arbeiten lässt er mittels Airbrushtechnik Schlangen sprayen,
die dem Betrachter mit züngelnder Zunge direkt begegnen: Hofmann konfrontiert
sowohl in seinen Arbeiten Techniken, die schon allein aufgrund ihrer unterschiedlichen
kulturellen Anerkennung gegensätzlich sind und schafft zudem vibrierende
Provokationsräume zwischen abstrakten und narrativen Positionen.
Vor allem in seinen großen Bildern geht Hofmann verschwenderisch mit Fläche
um: Ohne Titel, 2003, 250 x 700 cm (Abb. S. 16/17). In einer weitläufig
inszenierten organischen Struktur sitzt ein bunter Papagei. Das alltags-trashige
Klebebild provoziert eine ganz spezifische Nähe, die aufgrund eines spezifischen
Umgangs mit einer Ökonomie der unterschiedlichen Aufmerksamkeiten entsteht.
Das Wechselspiel zwischen billiger Alltagskultur und malerischer Aufwertung
entwickelt Hofmann in diesem Bild mit großer Präzision: Die metallischen
Farben – Hofmann verwendet sie häufig – in Verbindung mit der
Großzügigkeit der formalästhetischen Behandlung des Bildraums
suggerieren Offenheit. Und die Ambivalenz zwischen den unterschiedlichen Ansichten
von Wirklichkeitsbezügen abstrakter und figurativer Elemente fördert
eine eigentümliche Wucht. Eigentümlich deshalb, weil die teilweise
wuchtige Präsenz Hofmanns Bilder immer auch eine unaufdringliche und somit
reflektierte ist.
Sehr deutlich wird dies auch in einem anderen Bild. Ohne Titel, 2003, 250 x
700 cm (Abb. S. 54/55). In großen schwarzen und applizierten Lettern steht
auf dem Bild «Hard Core». Das H ist auf der linken Seite angeschnitten
und somit wird das ohnehin bereits großzügige Format noch stärker
in den Raum entgrenzt. Den Hintergrund bestimmen größtenteils heftige
Rotkontraste und daher entsteht zwischen Malerei und Begriff eine besondere
Form eines gegenseitigen Angriffs, einer gegenseitige Steigerung. Gerade im
Zusammenhang seiner neusten Arbeiten entwickelt Hanspeter Hofmann komplexe Zusammenhänge
in seinen Bildwelten, die mit einer leicht aggressiven Atmosphäre eines
Verhältnisses zwischen Rede und Widerrede umschrieben werden können.
Dadurch provozieren seine Bilder unsichere Standpunkte gegenüber einer
eindeutigen Bewertung des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen Abstraktion und
Gegenständlichkeit. Hofmanns Bilder provozieren Gefühle, doch auch
diese sind nicht eindeutig, denn sie können sich – kaum haben sie
sich eingestellt – nicht wirklich halten. Sie werden aus der einen oder
anderen Richtung torpediert und gleichzeitig auch wieder unterstützt. Hofmann
verwendet das Thema »Dilemma« als eine künstlerische, eine
ästhetische Form: Er inszeniert Konflikte aller Art als einen produktiven
Ausweg aus aktuellen Malereidebatten. In ihrer Heterogenität vermitteln
Hanspeter Hofmanns Bilder eine Eigenschaft, die nicht etwa uneindeutig erscheint,
sondern eher eine Unitas multiplex behauptet, eine Vielheit in der Einheit.
Seine Bilder zeichnen sich durch eine vitale und somit auch immer wieder schwer
versöhnliche Verbindung aus: Es ist die Konfrontation eines malerischen
Diskurses der abstrakten Bildtradition mit einer provokativen Bejahung zeitgenössischer
Unsicherheit.
The assault of paintings on the rest of reality
by Dorothea Strauss
There was a time – at the end of the 1990s – when people thought
Basel resident and artist Hanspeter Hofmann had found his artistic language.
Naturally, the only ones to think this were those who quickly accept that an
artist has positioned his label: an organic abstraction in subdued tones and
medium formats, a continual advancement of the formal canon. But they should
have realized even then that things would not rest there.
Something frequently mentioned in connection with Hanspeter Hofmann’s
painting is that he worked in chemicals research before turning to painting.
Hofmann loves experiments. As a former scientist he not only appraises his works
on the basis of whether they are good or bad, but is strongly aware that every
production can be of use. Gaining knowledge is what he is interested in. And
in exactly the same way that he previously opted for a certain order of his
scientific experiments, he one day chose the direction for his art. Hofmann
is a realist. Having decided to paint, questions present themselves as to how
and what, and in order to answer this he does not proceed by trying out various
painterly approaches but first of all places conceptual considerations at the
center of his new profession. As a result of this mental process Hofmann ultimately
opts for the possibilities and openness an abstract painterly language offers.
He is not, however, interested in an abstraction based on classic geometry,
favoring instead an expression founded in reality based on curves and organic
shapes. Though he makes only scant borrowings from say weather curves, statistics
or computer predictions, they nonetheless offer points of reference to the world
we experience every day. Hofmann is an inventor. The start of his artistic career
is characterized simultaneously by intellectual curiosity and disarming pragmatism,
and the pictures subsequently produced tell of a liberating search for expansion.
The contrast between the conceptual clarity of strategic topical considerations
and the seductive power createdby the intense stimulation of his visual worlds
continues to define the ambivalent mood of his painting today.
Between 1993 and 1997, a broad array of paintings and wood cuttings evolves
to which Hofmann gives the title "In vitro". Bright lines resembling
string merge into organic structures on dark backgrounds. The title already
suggests the process of an experiment:In these works, Hofmann approaches his
artistic language in a truly meditative manner.The technique he employs is time-consuming,
and each work takes him up to three months. This series serves him as a kind
of formal-aesthetic archive, as a formal canon which Hofmann still employs as
a basis for his painting today albeit not directly but as a frame of reference.
These earlier works already alternate in their scientific-microscopic appearance
between dynamic structures and a highly evocative chill-out atmosphere. But
only in the course of the years does this connection become clearer, the colors
more intense, the shapes more generous and the formats more excessive. Hofmann’s
use of color schemes become increasingly confrontational and in their hip color
range sometimes test the limits of what the retina can bear. With increasing
aggression he confronts loud color constellations with an overstated formal
language. His works unite the cool detachment stemming from precise arrangement
of form and surface and the emotional excess generated by liberal handling of
space and color. Hanspeter Hofmann is not interested in systemic associations.
Instead, he takes individual topics or entire formal complexes from various
pictures both in terms of form but also color, integrates them in an altered
or varied form into others, and in this manner creates both formal-aesthetic
and color-aesthetic connections within his groups of paintings. He frequently
works on several paintings simultaneously and thus develops complex associations
between the individual pictures. However, this approach does not aim at the
development of finished work groups in the classic sense. The process of citation
is evident throughout his entire work, and never appears to be complete: Earlier
constellations repeatedly crop up like relicts or remainders and are confronted
with new results.
Occasionally, works feature additions in the form of words on plastic foil such
as stoked, sex, hard core or petronas. Hofmann’s intention is not –
unlike say Remy Zaugg – to draw attention to perceptual processes, rather
his interest lies in the narrative qualities of the respective words with regard
to their usage. "Stoked" for instance is a little-known term stemming
from the surfers’ world, which refers to the feeling that arises when
you are one with the wave. Hofmann quotes here a very specific everyday experience
of a sport in which dreams of liberty and adventure are crucial motors for the
sporting experience. By contrast, a word like "sex" is apparently
familiar to everyone. Similarly, "hard core" which is used both
in the porn industry but also in everyday English to refer to something of great
emotional intensity. By placing what are effectively provocative words like
labels on his paintings while not being less precise in his development of the
painterly surroundings, Hofmann invokes varying discussions within his works.
He "deposits" individual elements in a painterly setting as troublemakers,
but for all that simultaneously develops binding relationships. These relationships
are not only to be found in the painting itself but are linked to the personal
world each individual observer perceives. However, Hofmann also applies other
elements such as an eagle, stylizes pigeon-like birds or a bright parrot. The
black birds recall their adhesive counterparts used to keep real birds away
from windows of schools or public buildings; on the paintings, though, they
seem like an ironic citation of a fact, not to fly into the picture, or evoke
a melancholic gesture of liberty. In his latest works he uses the airbrush technique
to spray snakes that confront the observer directly with lashing tongues: Hofmann
not only addresses in his works techniques that are antagonistic solely due
to their differing cultural recognition, but also creates vibrating provocative
spaces between abstract and narrative positions.
Especially in his large paintings Hofmann is excessive in his use of space:
Ohne Titel (Untitled), 2003, 250 x 700 cm (ill. p. 16/17). In the midst of a
sweeping orchestration of organic structures sits a colorful parrot. The everyday
trashy adhesive image incites a highly explicit nearness – generated thanks
to a specific, frugal approach to the diverse guises awareness takes. It is
with great precision that Hofmann develops the interplay between cheap everyday
culture and painterly upgrading in this painting: the metallic colors –
Hofmann employs them frequently – combined with the generous formal-aesthetic
treatment of the painting’s space suggest openness. And the ambivalence
between the varying views of citations from reality, between abstract and figurative
elements produces a strange impact. Strange because the sometimes powerful presence
of Hofmann’s paintings is likewise always unobtrusive and thus considered.
This aspect is also highly evident in another painting. Ohne Titel (Untitled),
2003, 250 x 700 cm (ill. p. 54/55). The term "Hard Core" is superimposed
onto the painting in large, black letters. On the left-hand side, the "H"
is cut off, which effectively further pushes back the borders of this generous
format. What are primarily stark contrasts in red define the background and
consequently a special form of mutual attack, a mutual heightening is created
between painting and expression.
Particularly in the context of his most recent works, Hanspeter Hofmann develops
complex associations in his visual worlds, which could also be described as
the slightly aggressive atmosphere of a relationship defined by talk and backtalk.
Accordingly, his paintings evoke uncertainty regarding an unambiguous appraisal
of the topical connection between abstraction and the representational. Hofmann’s
paintings call up feelings, but they are not without ambiguity either as they
cannot really persist once they have arisen. They are torpedoed from the one
or other direction and simultaneously supported again. Hofmann employs the topic
"dilemma" as an artistic, an aesthetic form: he orchestrates conflicts
of all kinds as a productive solution to the current debates on painting. In
their heterogeneity Hanspeter Hofmann’s paintings convey a quality which
does not so much appear ambiguous, but rather establish a Unitas multiplex,
a diversity in unity. His paintings are characterized by a connection that is
essential and thus often difficult to reconcile: It is the confrontation of
a painterly debate on the tradition of the abstract painting with a provocative
affirmation of contemporary uncertainty.
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