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Der Avatar diesseits und jenseits der Leinwand
Matthias Ulrich

Das richtige Bild finden, um den täglich gelieferten Bildern gerecht zu werden, klingt tautologisch und esoterisch zugleich. Das Projekt kann zudem nur scheitern oder bestenfalls (Esoterik?) in einer Privatsprache münden, die originär ist, aber gleichsam unverständlich bleibt und elitär. Eine Flagge mit dem Namen des Künstlers darauf und einer ornamentalen Herkunftssymbolik nebst zeitgemäßer übermalung mit dem Motiv eines Totenschädels oder eines Gorillakopfs ist autoritäre Behauptung. Die Möglichkeit der Fortsetzung, der Entwicklung, vielleicht sogar der Ontogenese eines Menschen, einer Idee oder eines Bildes aber ist das Programm des seit den frühen 1990er Jahren konsequent und mit verschiedenen Verfahrensweisen durchgeführten Werkkomplexes des Schweizer Künstlers Hanspeter Hofmann.

Die Bilder von Hanspeter Hofmann sind zu allererst durchzogen von freien, schwungvollen Bewegungen, die wie unter dem Mikroskop betrachteten biologischen Strukturen gleichen. Die immer wiederkehrenden Schlaufen und Flächen sind in Wahrheit präzise Wiederholungen, copy-and-paste-Elemente, in Größe, Ausschnitt und Farbe variierend, aber eben ähnlichkeiten und Simultaneitäten. Im Ganzen betrachtet erscheint so Hanspeter Hofmanns künstlich erzeugte Welt wie eine ästhetische Evolution, in der jedes Bild die Merkmale früherer Bilder in sich trägt und sie an die nächsten Bilder weiterreicht.

In einer Serie von postergroßen Siebdrucken, die er zuletzt in zwei Ausstellungen im Kunsthaus Graz und in der Villa Arson in Nizza zeigte, rückt das generative Moment, das einer überindividuellen Logik folgt und herkömmliche Fragen nach Kreativität und Intention in das Innere der Mensch-Maschine-Kombinatorik legt, in den Vordergrund. Verglichen mit den Gemälden, in denen dieser Aspekt vielmehr strategisch kompositorische Bedeutung zu haben scheint, handelt es sich bei den Siebdruckplakaten fraglos um deren technische Reproduktion. Noch dazu wenn es sich wie im Falle von Graz um die Einbeziehung tagesspezifischer Ereignisse handelt, die Hanspeter Hofmann während der gesamtern Ausstellungs=Herstellungsdauer vor Ort aus den Tageszeitungen auf seine Siebdrucke kopiert. Neben dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und seiner Frau Carla Bruni fiel seine Auswahl immer wieder auf Themen wie Biotechnologie und Aktienmärkte, so als ob ihnen allen mehr gemeinsam sei als die nur gleichzeitige Veröffentlichung. Ein ebenfalls wiederkehrendes Motiv auf diesen mehrschichtigen Druckgrafiken ist der Kopf eines Gorillas, der bisweilen ornamentalen Charakter annimmt und den Produkten zusätzlich einen Raster beziehungsweise eine Ordnung einverleibt. Die Aktualität, die Hanspeter Hofmann nicht nur in diesem Bilderzyklus anstrebt, hier jedoch explizit durch die Verwendung von Seiten aus Zeitungen und Zeitschriften erreicht, befördert eine sowohl politische als auch ästhetische Dimension.

„To draw a distinction“ bezeichnet die (Systemtheorie für die) Operation einer Beobachtung, die immer schon auf Unterscheidungen basiert und Unterscheidungen prozessiert. „Dies und nicht das“ lautet die allgemeine Maxime, und sie trifft auch dann noch zu, wenn jemand das Gegenteil behauptet. Referenzen sind insofern nichts anderes als Behauptungen, die durch Wiederholung Faktizität erlangen. Dieser Prozess, der, auf die Kunst angewandt, Formen generiert, ist so etwas wie Hanspeter Hofmanns überbau. Seine analytische Vorgehensweise, die Auswahl und Variation der bildnerischen Elemente, unterstreicht den Vorrang der Technik vor der künstlerischen Idee. Ganz und gar modern will dieser Künstler sein, höre ich Adorno rufen, die avancierten Denkmodelle in Anschlag gebracht und dabei die Schönheit – vom Kräfteverhältnis der auf der Leinwand verteilten Flecken, Linien und Schlaufen bis zur mal dünn-durchscheinenden, mal pastos-spiegelglatt-glänzenden Oberfläche – nicht aufgebend. Aktualität – und auch sie benötigt die Unterscheidung eines Beobachters (!) – sieht Hanspeter Hofmann vor allem in der biomedizinischen Entzauberung des menschlichen Körpers oder des Menschlichen insgesamt, die für jemanden wie Vilém Flusser gerade erst begonnnen hat. Dieser behauptet, dass „die gesamte materielle Kultur seit zwei Millionen Jahren als Versuch verstanden werden (kann), dem ‘gegebenen‘ Körper einen künstlichen aufzusetzen und die Prothese in den Dienst des Nervensystems zu stellen. Seit der Industrierevolution hat sich dieser Prothesenbau verfeinert und beschleunigt, wobei ersichtlich wurde, daß es nicht darum geht, einen individuellen Körper, sondern alle Menschenkörper ’gemeinsam’ mit dieser Kunst zu koppeln.“ (Vilém Flusser, Vom Subjekt zum Projekt. Menschwerdung, Bollman 1994, S 95)

Wenngleich Hanspeter Hofmanns Faszination für die analytische-naturwissenschaftliche Coolness nicht von der Hand zu weisen ist und er das überraschungspotential von Reproduktion und Kombinatorik immer wieder unter Beweis zu stellen weiß, so zweifelt nicht nur die Spur des Pinsels an der überwindung der menschlichen Unvollkommenheit. Auch die symbolisch bedeutungsvollen Totenschädel, der paradiesische Papagei, die verführerische Schlange, ja selbst das Menetekel modernistischer Transparenz: ein auf Glasscheiben aufgeklebter, schwarzer Vogel springen dialektisch auf der fortschrittsgläubigen Oberfläche hin und her. Sie stören das Organische, die Leichtigkeit, mit der das Auge der Bewegung der dicken und dünnen Linien folgt, die weder Anfang noch Ende, sondern nur Fortsetzung kennen: Sie durchkreuzen die Linearität.

Mit großen, bedruckten Bahnen hat Hanspeter Hofmann nun eine Fußgängerzone in Basel überdacht, die der konsumistischen Vorhölle aller dem Urbanismus ausgelieferten Städte Europas gleicht, einer zwischen lokaler Tradition und globaler Billiganschlüsse oszillierenden Angebotsfassade. Dass solche schnell wachsenden Pilze im Volk drogenähnliche psychedelische Wirkungen hervorrufen, mag ein Irrtum sein, doch üben sie keinen unwichtigen Beitrag in der Verbreitung wirksamer Kommunikations-, Schönheits- und Glaubensprothesen, die ein Leben außerhalb der engen Subjekträume zu ermöglichen beabsichtigen. Ein Blick in den Himmel lässt daran jedenfalls glauben und zweifeln, je nach Helligkeit.