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Hanspeter Hofmann – Tanzende Substanzen
Pressetext Tony Wüthrich Galerie

Der Titel klingt fröhlich, mit einem Schuss Melancholie: In der jüngsten Flash Ausstellung bei Tony Wüthrich verbindet Hanspeter Hofmann vertraute und neue Elemente aus seinem Formenrepertoire, das Christoph Doswald einst als die „Hofmann’sche Matrix“ bezeichnet hat. Kleinformatige, gerahmte Zeichnungen aus den letzten zwei Jahren sind auf Plastikplanen montiert, die mit Motiven tanzender Männer bedruckt sind – zu diesen jedoch später. Die Zeichnungen in Bleistift, Farbkreide, Gouache oder Marker auf Papier führen Hofmanns seit den 1990er Jahren aus seinem Interesse für Naturwissenschaften und formal-ästhetische Fragestellungen hervorgegangenen, organisch-molekular anmutenden Strukturen spielerisch weiter. Es sind Visualisierungen des „Denkens über das Denken“, so der Künstler, zu Papier gebrachte Bewusstseinszustände oder Wahrnehmungskonzepte,, in denen die Hirnwindungen farbige Schlaufen, Blasen oder Bälle gebären, manchmal auch kristalline Strukturen mit scharfen Spitzen ausbilden.

Zum Teil arbeitet Hofmann mit Digitaldrucken und verbindet so, wie häufig in seinem Werk, technische und manuelle, digitale und analoge (Re-)Produktionsformen. In den jüngsten, in diesem Jahr entstandenen Zeichnungen, lösen nun figurative Darstellungen die abstrakten Formgebilde ab: Es sind die eingangs erwähnten tanzenden Männer, vielmehr handelt es sich jeweils um Männerpaare. Die einen scheinen sich wie Derwische oder Technotänzer zu bewegen und sich dabei gleichsam aufzulösen, ein anderes Paar, diesmal fein konturiert, tanzt so etwas wie Tango, zwei Schlipsträger halten sich beim Sirtaki an Schultern und Hüften, ein weiteres Paar schmiegt sich im Lederharness aneinander… die Szenen könnten sich auf Firmenfeiern oder in Schwulenclubs zugetragen haben, sie changieren zwischen Schwermut, Zärtlichkeit, Ausgelassenheit und Lächerlichkeit.

Die Vorlagen dafür findet Hanspeter Hofmann im Internet, in Druckmedien, hat sie selbst fotografiert oder von KI-Programmen generieren lassen. Umgesetzt wurden sie mit unterschiedlichen grafischen Mitteln, wie in den abstrakten Zeichnungen variieren Linien und autonome Farbfelder, teilweise lösen sich die Figuren auf in einzelne Punkte oder Striche, was an Pointilismus oder vielmehr an Pixel denken lässt – das Digitale ist im schöpferischen Prozess immer präsent. Eine Auswahl dieser Motive wurde weiterhin am Computer generiert, vergrößert und auf großformatige weiße Plastikplanen gedruckt, die wiederum als Hintergrundtapisserie für die Zeichnungen dienen.

Wie schon die vorangegangene Serie Neue Typen*Innen spielt Hofmann hier humorvoll und durchaus selbstironisch auf die sich verändernden Bedingungen des Kunstbetriebs an. Und diese können für die Spezies Mann in mehrfacher Hinsicht als bedrohlich empfunden werden. Nicht nur scheint die jahrhundertelange Vorherrschaft der weißen Männer in Museen und auf dem Kunstmarkt langsam von anderen Akteur*Innen abgelöst zu werden, auch Künstliche Intelligenz schleicht sich als zunehmend ernstzunehmende Konkurrenz in das „Betriebssystem Kunst“ ein. Und was tun echte Männer, wenn das System kollabiert? Im besten Falle das, was Anthony Quinn und Alan Bates in der legendären Schlussszene von Zorbas the Greek tun: sie nehmen sich in den Arm und tanzen.

Eva Scharrer, Mai 2023